Freunde im Spital

Sie sind in schweren Stunden für einen da. Traumdoktoren wie Dr. Wolle begleiten Kinder und deren Eltern vor und nach Operationen. Eine Reportage aus dem Kinderspital Luzern.

15.12.2020 Gabriela Braun 6 Minuten

Vielleicht träumt Nael gerade von einem Stegosaurus und Tyrannosaurus, und wie sie in grossen Zügen Wasser aus dem Sempachersee schlürfen. Oder davon, wie Kindergärtner-Dinos und Opa-Dinos miteinander Seifenblasen zerplatzen. Wobei: Der Fünfjährige hatte Dr. Wolle mit der roten Nase ja vor drei Stunden erklärt, dass es ganz sicher keine Kindergärtner-Dinos gebe. «Dinosaurier gehen doch nicht zur Schule!» Nael und Dr. Wolle lachten. In dem Moment war Naels Angst vor der bevorstehenden Operation wie weggeblasen. 

Jetzt warten seine Eltern Sandra und Tiago S. mit Traumdoktor Dr. Wolle im Aufwachraum der Kindestagesklinik Luzern darauf, dass Nael von der Narkose aufwacht. Es ist kurz vor Mittag, die 1,5 stündige Operation soll gut verlaufen sein. Ein Chirurg hat Naels schwulstige Narbe am Hinterkopf aufgeschnitten und schön zusammengenäht. Der Bub kam mit einem Loch im Kopf zur Welt. Danach wuchs die Wunde zu, doch die Narbe juckte und entzündete sich regelmässig. Dies soll nun ein Ende haben. Als Nael ein paar Minuten später seine noch schweren Lider öffnet, freut er sich, als er Mama, Papa und seinen neuen Freund Dr. Wolle am Bettrand sieht. «Hoi Nael», begrüsst dieser den Buben mit sanfter Stimme. «Sag, wovon hast du geträumt? Von Dinosauriern?» Sein kleiner Patient lächelt. 

Dr. Wolle macht Mut

Naels Morgen beginnt an diesem Tag früher als sonst: Um 7.15 Uhr schon läuft er mit seiner Mutter an der Hand in die Tagesklinik des Kinderspitals am Luzerner Kantonsspital im ersten Stock. Der Bub wirkt nervös. Statt mit seinen Freunden im Kindergarten, verbringt er diesen Mittwochmorgen im Spital. 

Stationsschwester Eliane Schärli nimmt Nael und Sandra S. in Empfang. Sie erklärt ihnen den Ablauf und beginnt mit den ersten Vorbereitungen: Sie misst Naels Grösse und Gewicht und fragt nach, ob er auch wirklich nichts gegessen habe. Nael muss für die Operation nüchtern sein. An der Seite von Schwester Schärli steht der lustig aussehende Dr. Wolle, Traumdoktor der Stiftung Theodora. «Hoi, ich bi dr Wulle!», stellt sich der Mann im Ringel-Look und wildem Haarschopf vor. Nael lächelt scheu. 

Diese Art von Begleitung reduziert Stress

Traumdoktor Dr. Wolle unterstützt Pflegende bei ihrer Arbeit, in dem er jene Kinder betreut, die an diesem Morgen operiert werden. Er lacht mit ihnen, improvisiert, zaubert und schenkt ihnen etwas Ablenkung. Diese Begleitung von Kindern vor und nach Operationen durch Traumdoktoren gibt es erst seit wenigen Jahren. Sie ist ein Erfolg. Das Bedürfnis seitens Spitäler und Eltern ist gross. Studien zeigen, dass diese Art von Begleitung die seelische Belastung für ein Kind markant reduzieren. Helsana als Partnerin der Stiftung Theodora unterstützt diese wertvolle Arbeit der Traumdoktoren. 

Plötzlich zaubert Dr. Wolle einen kleinen Dinosaurier aus seiner Kitteltasche. Und gleich nochmals einen. Nael macht grosse Augen und sagt aufgeregt: «Das ist ein Stegosaurus!» Der Zufall will es, dass Nael ein grosser Dino-Fan ist. «Wulle» hatte keine Ahnung davon. Nael ist sichtlich beeindruckt und neugierig zu sehen, was dieser erstaunliche Doktor noch alles kann. Dr. Wolle bläst mit einer Handpumpe Ballone auf und bastelt daraus einen violetten Hund, den Nael für seine Schwester mit nach Hause nehmen will. Aus anderen Ballonen dreht der Traumdoktor einen Basketballkorb, den Nael mit einem Tigerballon treffen soll. Es entwickelt sich ein Spiel zwischen den beiden und Naels Mama. Nael und seine Mutter liefern sich einen lustigen Wettkampf, wobei es bewusst nicht ganz so fair zu und her geht. 

Entspannte Stimmung vor der Operation

Nael gewinnt den Match überlegen. Die Stimmung ist wie auf einem Pausenplatz. Der Bub ist kaum wiederzuerkennen. Sandra S. lächelt und sagt: «Ich hatte keinen so lustigen Morgen erwartet.» Ihr Sohn kriegt von Dr. Wolle eine Medaille um den Hals gehängt und lächelt stolz.

Zur Aufgabe eines Traumdoktors gehört es auch zu merken, wann es Zeit ist, den kleinen Patienten und ihren Eltern etwas Raum zu geben. Sie sollen für sich sein oder in Ruhe mit der Pflege etwas besprechen können. Dr. Wolle zieht sich deshalb immer wieder zurück. Nael schmiegt sich an seine Mami und will umarmt werden. Er sucht Geborgenheit, denn trotz all der Ablenkung und dem Spass: Nervös ist Nael noch immer etwas. 

Bei der Operationsbegleitung durch Traumdoktoren geht es nicht um eine Show, sondern darum, auf die Bedürfnisse und Stimmungen des jeweiligen Patienten einzugehen – und die Vorbereitungen der Pflege einzubauen. «Die Pflege hat ihre Abläufe, die störe ich nicht», sagt Dr. Wolle. Es fällt auf, wie gut Traumdoktor und Pflegepersonal aufeinander abgestimmt sind. Dr. Wolle und Eliane Schärli integrieren gekonnt gewisse Schritte ins Spiel, die der Vorbereitung der Operation dienen. 

Der Spezial-Sirup macht müde

Dann wird es Zeit, dass Nael ein Beruhigungsmittel einnimmt. Dr. Wolle stimmt den Fünfjährigen darauf ein. Nael hat sich umgezogen und trägt ein Nachthemd des Spitals. Der Traumdoktor holt seine Seifenblasenmaschine hervor, daraus erklingt Musik. Nael beginnt die Seifenblasen mit dem nackten Fuss zu zerplatzen und staunt, dass die Blasen durch einen Trick plötzlich ganz bleiben. Nebenbei erzählt ihm «Wulle» vom Sirup, den Nael gleich trinken werde. Mit diesem Sirup würden die beiden anstossen. 

Wenig später erscheint die Stationsschwester mit zwei identischen Plastikbecherchen. Nael erhält den Becher, der Saft und das Medikament enthält, Dr. Wolle jenen nur mit Saft. Die beiden stossen damit an und sprechen über die warme Luftmatratze, die Nael vor dem Operationssaal erwartet. Und über Dinosaurierträume natürlich. Sie zählen auf, welche Dinos darin vorkommen könnten. Nach ein paar Minuten sagt der Bub dann: «Jetzt bin ich grad scho müed.»

Zahlreiche positive Rückmeldungen

Operationsbegleitungen wie sie in Luzern gemacht werden, führt die Stiftung Theodora wöchentlich in sieben Schweizer Spitälern durch. Traumdoktor Wolle liebt diese Arbeit. «Es ist schön, wenn die Pflege und wir uns so gut ergänzen.» Eliane Schärli und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Luzerner Kantonsspital schätzen ihre Traumdoktoren in den bunten Kitteln. Sie erleichtern ihnen den hektischen Arbeitsalltag, da die Traumdoktoren etwa Wartezeiten gekonnt überbrücken können. «Vor allem haben sie ein sehr feines Gespür für jedes Kind», sagt Schärli. «Wir beobachten, dass Kinder ruhig und zufrieden aufwachen, wenn sie von Traumdoktoren begleitet werden.» Von Eltern erhalten sie zahlreiche positive Rückmeldungen. 

Auch Anästhesist Thomas Hurni freut sich über jeden Tag, an dem ein Traumdoktor auf der Station anwesend ist und die Kinder vor und nach einem operativen Eingriff begleitet. Dr. Wolle rollt zusammen mit einer Pflegeschwester das Bett, in dem Nael liegt, aus der Station. Vor dem Bettenlift verabschiedet sich Nael von seiner Mama. Er wirkt entspannt. Dann geht es einen Stock abwärts Richtung Operationssaal. Dort angekommen, integriert der Traumdoktor den Anästhesisten Hurni sofort ins Spiel und die Fantasiewelt, in der sich Nael und Dr. Wolle befinden. Thomas Hurni staunt nicht schlecht, als er hört, dass er einen Dinosaurierexperten vor sich hat. Die beiden Männer transferieren den Buben auf die warme Luftmatratze, die es wirklich gibt, und verabreichen ihm eine Narkose mit Fruchtgeschmack – ein sogenanntes Luftdessert. Nael atmet tief ein und driftet ab. Die beiden wünschen ihm schöne Dinosaurierträume. Und schon entgleitet Nael sanft in den Schlaf. 

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